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Die Welt erleben wie ein Vogel

© Schweizerische Vogelwarte, Marcel Burkhardt

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Felix Tobler, Leiter des Besuchszentrums
© Schweizerische Vogelwarte, Lukas Linder

 

Was bedeutet es, in der Schweiz als Vogel geboren zu werden? Neugierig betrete ich das lichtdurchflutete Besuchszentrum der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach. Grosse Volieren mit exotischen Vogelarten suche ich vergebens. Die Arbeit der rund 120 Angestellten und über 2'000 Freiwilligen geschieht nämlich auf dem Feld und im Stillen – hier wird beobachtet, geforscht, gepflegt, aufgeklärt, sensibilisiert, vermittelt. Gespannt begebe ich mich auf Entdeckungsreise.

Als Vogel unterwegs

Das offene Ei der Ausstellung zieht mich in seinen Bann. Ich werde beringt und tauche in mein Vogelleben ein. Frisch geschlüpft finde ich mich in einem riesigen Vogelnest wieder. Mithilfe meines Rings lausche ich Vogelstimmen, erfahre, wie ein Nest einer Mönchsgrasmücke, einer Kohlmeise oder einer Bachstelze aussieht und warum manche Eier gesprenkelt sind. Das Zuordnen verschiedener Eier zu den richtigen Vogelarten gelingt mir nur mit Glück. Ich erfahre, dass mein Speiseplan durch die Form meines Schnabels quasi schon vorgegeben ist: Mäuse und Käfer schmecken mir vorzüglich! Doch dann beginnt der Ernst des Vogellebens: Hochspannungsleitungen, Klimawandel, Fensterscheiben, Mäher, Füchse und anderes mehr – die Gefahren sind vielfältig und stimmen mich nachdenklich. Dafür sind wir mit etwas Einzigartigem ausgestattet, das uns ermöglicht, abzuheben und das Treiben auf der Erde aus angenehmer Distanz zu beobachten: Unser Federkleid. Glänzend, wärmend, schützend – ein wahres Wunderwerk. Um fliegen zu können, habe ich zudem einen speziellen Körperbau, leichte Knochen und einen Hochleistungsstoffwechsel. Am Ende des lehrreichen Rundgangs werfe ich den Ring mit meinen aufgezeichneten persönlichen Interessen ein und erfahre erstaunt: Ich bin ein Weissstorch!

‹Heute nehme ich Geräusche und Vogelstimmen bewusster wahr...›

Sehen, hören und staunen

In der «Vogelschau» nehmen mich die exklusiven Bilder des Dokumentarfilmers Marc Tschudin mit auf eindrückliche Flugreisen und geben Einblick in die Lebensgewohnheiten von Schweizer Vogelarten. Was ich dabei erlebe, ist erstaunlich, eindrücklich, ja manchmal auch lustig. «Der 40-minütige Film zeigt unsere Freude und Begeisterung an diesen besonderen Lebewesen», sagt der Leiter des Besuchszentrums Felix Tobler. Warum Vogelmännchen überhaupt singen und wie musikalisch Vogelgesang sein kann, erfahre ich im mechanischen Theater der «Singfonie». Vogelstimmen faszinieren auch Tobler: «Heute nehme ich Geräusche und Vogelstimmen bewusster wahr und nutze vermehrt mein Gehör. Damit hat sich mir eine ganz neue Welt aufgetan.»

Vogelwarte Sempach
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Frisch geschlüpft, landen die Gäste im grossen Vogelnest

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Rettung durch Nistkästen

Am Beispiel des Wiedehopfs erzählt mir Felix Tobler von der Arbeit der Vogelwarte: «Der exotisch anmutende Vogel verspeist Grossinsekten und sucht sich zum Brüten im Unterwallis Baumhöhlen in der Talsohle. Dort findet er auch seine Lieblingsnahrung: grosse Maulwurfsgrillen. Doch irgendwann war der dreisilbige Balzruf des Wiedehopfs nur noch selten zu hören. Was war passiert? Alarmiert forschten wir nach. Im Tal gab es zwar einen reich gedeckten Tisch, aber immer weniger Hochstammobstbäume zum Nisten, weshalb viele Vögel zum Brüten weit hinauf an die Talflanken ausweichen mussten. Die Lösung war einfach. Wir hängten im Tal Nistkästen auf, wodurch dem Wiedehopf die ständigen kräftezehrenden Flüge erspart blieben. Wer heute mit offenen Ohren im Rhonetal unterwegs ist, hört es inzwischen wieder öfter, das unverkennbare ‚Hup-hup-hup’.»

‹Oft fehlt es einfach an Wissen.›

Verständnis wecken und Anreize schaffen

78 der 200 in der Schweiz brütenden Vogelarten sind bedroht. «Das sagt etwas über den Zustand der Natur und damit auch über unsere Lebensgrundlagen aus», so der Naturwissenschaftler, der sich seit 22 Jahren bei der Vogelwarte für die Vögel in der Schweiz einsetzt. «Oft fehlt es einfach an Wissen.» Deshalb leistet die Vogelwarte viel Aufklärungsarbeit. Zum Beispiel bei den Landwirten. Voller Freude erzählt er von rund 60 Kiebitz-Paaren, die jetzt wieder im luzernischen Wauwilermoos brüten, unter anderem weil die Landwirte ihre Felder mit Rücksicht auf die Kiebitze bearbeiten und die Nester der Bodenbrüter dadurch erhalten bleiben.

Natürliche Schönheit

Der Garten der Vogelwarte ist eine kleine Oase. 27 Vogelarten brüten darin. Ich entdecke Libellen, Enten, Schwalben und – vermoderndes Gehölz sowie einen Stein- und einen Asthaufen. Herausgeputzt wirkt dies nicht besonders, doch mit dem Lesen der Infotafeln wird mir bewusst, welch paradiesische Zustände darin für Igel, Insekten, Eidechsen, Käfer, Würmer und andere Lebewesen herrschen, die wiederum eine wichtige Nahrungsgrundlage vieler Vogelarten sind. Und plötzlich erkenne ich darin eine eigene Schönheit. Es wird mir bewusst, wie bedeutend es ist, unserer Natur Sorge zu tragen.

Spannend war sie, meine Entdeckungsreise. Mit vielen Eindrücken und offenen Ohren mache ich mich auf den Heimweg.

Text von Petra Hasler
 

Standort und Kontakt

Schweizerische Vogelwarte Sempach
Luzernerstrasse 6
6204 Sempach
+41 (0)41 462 97 00
infovogelwarte.ch
www.vogelwarte.ch/besuch